Silvester steht wieder vor der Tür und es entbrennen wieder bitterliche Diskussionen darüber, ob es okay ist, das alte Jahr mit einem Silvesterfeuerwerk zu verabschieden und das Neue damit zu begrüßen. Häufig wird als Contra-Argument die heimische Tierwelt, also Haus- und Wildtiere hervorgebracht, die teilweise panisch auf die lauten und grellen Feuerwerkskörper reagieren.
Haustierbesitzer wissen, wie sensibel und teilweise panisch Tiere auf das laute Knallen reagieren können. Die Reaktionen auf solche Ereignisse sind keineswegs an- oder aberziehbar. Ich besitze beispielsweise zwei Hunde, von denen einer ängstlich auf das Silvesterfeuerwerk reagiert und der andere gelangweilt. Der gelangweilte Hund ist mittlerweile taub, es juckt ihn so oder so nicht mehr. Alle anderen Tiere, die nicht taub oder gleichgültig sind, können die grellen Lichter und das laute Knallen nicht einordnen.
Viele Tierhalter müssen ihre Tiere vor Silvester sedieren, damit diese den Jahreswechsel unbeschadet überstehen, weil die Knallerei für diese Tiere einen solchen Stress bedeutet, dass sie ernsthafte körperliche Schäden erleiden könnten.
Wildtiere kennen aus der Natur lautes Knallen und grell aufflackernde Lichter lediglich vom Gewitter. Das Silvesterfeuerwerk wird folglich als Gefahr eingestuft. Jährlich kommen Wildtiere auf Landstraßen um, weil sie vor dem Silvesterfeuerwerk fliehen. Für Wildtiere ist eine solche Flucht im Winter nicht vorgesehen. Insbesondere die Säugetiere im Wald haben aufgrund des begrenzten Nahrungszugangs ihren Stoffwechsel auf ein Minimum reduziert.
Nicht nur die Säugetiere, die sich teilweise im Winterschlaf befinden, werden durch das Silvesterfeuerwerk aufgeschreckt. Auch Vögel und andere Tiere leiden unter dem Lärm. Ornithologen beobachten jährlich am 01. Januar, dass die Ruheplätze der Vögel verlassen wurden. Die Vögel fliehen dabei in die Höhe, etwa zehn mal so hoch als üblich. Um die Flughöhe von etwa 1000 Meter zu erreichen, müssen sie erhebliche Energie aufbringen. Sie verlieren hierbei nicht selten die Orientierung oder erleiden ein Anflugtrauma.
Aus den genannten Gründen ist es daher untersagt, Feuerwerkskörper in der Nähe von Wäldern, Wiesen oder Grünanlagen zu zünden. Ich habe jahreslang direkt am Wald gewohnt und mit mir viele andere Menschen und rate mal, wo so richtig viel geböllert wurde? Richtig, am Waldrand. Jetzt wohne ich in der Stadt, etwa 1,5 Kilometer vom Naherholungsgebiet und etwa 500 Meter von meiner Wohnung befindet sich ein kleines Wäldchen. In diesem Wäldchen haben sich im Sommer Wildschweine niedergelassen. Wenn diese Wildschweine aufgescheucht werden, rennen sie, egal wohin sie rennen werden, in Wohngebiete.
Abgesehen vom (Plastik-)Müll verursachen Feuerwerkskörper etwa 2.050 Tonnen Feinstaub. Etwa 75% davon werden in der Silvesternacht verursacht. Das entspricht etwa einem Prozent der gesamten Feinstaubbelastung pro Jahr. Das Presseportal veröffentlicht 0,7 Prozent Jahresanteil. An vielen Orten wird am Neujahrstag eine höhere Feinstaubbelastung als an allen anderen Tagen gemessen.
Abgesehen vom Feinstaub verursacht das Silvesterfeuerwerk 2.373 Tonnen CO2. Auch wenn es sich hierbei um einen noch geringeren Anteil handelt, als es beim Feinstaub der Fall ist, so entsteht dennoch CO2, das wir eigentlich reduzieren wollen.
Neben Feinstaub und CO2 befinden sich im Silvesterfeuerwerk Schwermetalle, die für die Färbung der Raketen verwendet werden. Damit die Raketen am Himmel in diversen Farben erleuchten werden Schwermetalle und Sauerstoff zur Oxidation benötigt. Die Schwermetalle wie Strontium oder Barium sinken in Folge wieder zur Erde und werden mit dem Feinstaub durch uns eingeatmet. Die Größe der Moleküle entscheidet, ob sie lediglich unsere Atemwege reizen oder in unseren Blutkreislauf gelangen.
Unser Silvesterfeuerwerk wird in den seltensten Fällen in Deutschland oder der EU hergestellt. Die Produktion ist mit Gefahren verbunden und die Sicherheitsstandards sind hierzulande groß. Eine Produktion in Deutschland würde dafür sorgen, dass die Feuerwerkskörper wesentlich teurer wären. Natürlich werden auch bei den in die EU importieren Feuerwerkskörpern Sicherheitsstandards eingehalten. Das betrifft jedoch lediglich die Feuerwerkskörper, nicht die Arbeitsplatzsicherheit.
Die in Deutschland legal verkauften Feuerwerkskörper kommen zu 90 Prozent aus China. Neben China produzieren Indien, Peru, Guatemala und El Salvador Feuerwerkskörper unter desaströsen Bedingungen.
Ähnlich wie bei Fast Fashion werden die Feuerwerkskörper für unser Silvesterfeuerwerk durch Menschen hergestellt, die absolut keine andere Wahl haben, weil sie verhungern würden, wenn sie nicht diese Arbeitsstelle hätten.
Wie in der Modeindustrie auch werden in der Pyrotechnik nicht selten Kinder eingesetzt. Kinderhände sind klein und beweglich, weshalb sie filigrane Arbeiten erledigen können. Kinder müssen jedoch in der Feuerwerksproduktion teilweise vollkommen ungeschützt Chemikalien mischen, die Feuerwerkskörper befüllen oder Zündschnüre befestigen. Das machen bereits 6-Jährige bis zu 13 Stunden am Tag.
In Deutschland entzünden Eltern ein Silversterfeuerwerk, um ihren Kindern etwas „Spaß“ zu bieten. Während die Kinder hier sich über das Knallen freuen, bedeutet ein Knallen für die Kinder in China, Indien oder Peru, dass sie unter Umständen eine Hand verlieren, schwerste Verbrennungen erleiden oder sterben müssen.
Hier wollen Eltern ihren Kindern etwas zweifelhaften Spaß bieten, während in einem Billiglohnland unter Umständen ein Kind für diese kleine Freude gestorben ist. Es sterben jährlich etliche Menschen bei Explosionen in den Feuerwerksfabriken.
Die teilweise sehr jungen Kinder haben Verätzungen am ganzen Körper, hauptsächlich jedoch an den Händen. Häufig haben sie aufgrund der Verätzungen keine Fingernägel mehr.
Wenn Du jetzt denkst, „Pech, das ist das Problem der Eltern“, dann muss folgende Frage erlaubt sein: wann vor Deiner Geburt hast Du Dich bewusst entschieden, in einem Industrieland auf die Welt zu kommen?
Stell Dir mal kurz, wirklich nur ganz kurz vor, du wärst in einem Entwicklungsland zur Welt gekommen. Du hast mit 12 Jahren, fünf Jahre nachdem Du angefangen hast zu arbeiten, geheiratet und sechs Kinder bekommen, weil es keine Verhütungsmittel gibt. Deine Kinder sind hungrig und obwohl Du und Dein Mann arbeiten, reicht das Geld nicht, um alle satt zu bekommen.
Du bist erneut schwanger und Dein ältestes Kind ist gerade einmal zehn Jahre alt. Du musst es mitnehmen, damit es auch arbeitet und Geld für die Familie verdient, damit alle wenigstens ein bisschen zu essen haben.
Deine Kinder sind nie zur Schule gegangen. Die Schule kostet Geld, Geld das Du nicht hast. Dein Kind hat auch noch nie in einem Bett geschlafen, sondern es liegt mit den anderen am Boden. Du weißt, dass Dein Kind jederzeit bei einer Explosion sterben könnte. Du kennst Menschen, die so ihr Kind verloren haben. Aber du hast keine Wahl, das Risiko, dass Dein Kind bei einer Explosion stirbt ist geringer, als dass es verhungert.
Eine ähnliche Problemstellung wurde durch Wissenschaftler als moralphilosophisches Experiment dargestellt. Hierbei sollen Menschen entscheiden, ob es in Ordnung ist, einen Menschen sterben zu lassen, um fünf weitere zu retten (Trolley-Problem).
Das Dilemma dürfte für die betroffenen Familien noch größer sein, als wir uns vorstellen. In Deutschland waren 82 Prozent der Befragen bereit, eine Person zu opfern, um fünf Personen zu retten. Von den chinesischen Befragen gaben nur 58 Prozent an, dass sie hierzu bereit wären. In Südkorea und Taiwan waren es 70 Prozent.
Intensiviert wird dieses Problem, wenn die Befragten die fünf Personen retten können, dafür eine Person von der Brücke werfen müssen, um den Zug zu stoppen. In China wäre lediglich ein Drittel der Befragten hierzu bereit.
Ein häufiges Argument für Fast Fashion oder auch für die Produktion von Feuerwerkskörpern in Billiglohnländern ist, dass diese Menschen ohne diese Arbeit verhungern würden.
Was wäre, wenn wir diese Menschen fair bezahlen würden für ihre Arbeit? Wenn dadurch nur Erwachsene arbeiten müssten und die Kinder zur Schule gehen könnten? Richtig, es würde in einigen Jahren in diesen Ländern zur Akademisierung, Digitalisierung und Automatisierung kommen. Mit zunehmendem Bildungsgrad würden auch die Lohnforderungen steigen. Diese Tatsache macht uns Angst. Dann müssten wir einem Menschen in Indien, der genauso viel wert ist wie Du oder ich, auch genauso viel bezahlen, wie Du und ich pro Stunde verdienen.
Die Folge fairer Löhne und die Einführung von Arbeitssicherheit wäre, dass die Zeiten, in denen wir billig geshoppt haben, vorbei wären. Feuerwerkskörper würden eventuell automatisiert hergestellt und keine immense Preissteigerung erfahren. Andere Dinge wie die Produktion von Kleidung, die unter Umständen nur teilautomatisiert werden kann, verteuert sich immens. Wäre das in Anbetracht der Tatsache, dass unsere Kleiderschränke aus allen Nähten platzen, wirklich schlimm?
Das Silvesterfeuerwerk begleitet die meisten von uns ein Leben lang. Wir betrachten es als Tradition. Das ist auch der Grund, warum viele daran festhalten wollen. Es ist jedoch leider so, dass die Feuerwerke immer größer, heller und lauter wurden in den letzten Jahren. Auch wenn die Umweltbelastung nicht sehr groß ist, leiden Menschen und Tiere unter unserer Tradition.
Menschen zeichnen sich durch Reflektionsfähigkeit und Empathie aus. Eigentlich. Irgendwie haben wir das ein bisschen verlernt, wenn es um Menschen oder Tiere geht, die wir aktuell nicht sehen können. Deren Leiden für uns nicht spürbar ist. Es ist leider auch schon eine Tradition, dass wir das eigene Wohl über das Wohl anderer Lebewesen stellen, wenn sich diese Lebewesen außerhalb unserer Reichweite befinden. Wir empfinden Mitleid mit den Kindern armer Eltern in Deutschland, jedoch keines, wenn wir lesen, hören oder sehen, wie Kinder in China das Spielzeug unserer Kinder zusammenbauen.
Bild von 5688709 auf Pixabay Wenn ich durch die Stadt gehe, sehe ich in der…
Bild von Engin Akyurt auf Pixabay Bei dem Wort Veganuary handelt es sich um ein…
Bild von 19661338 auf Pixabay Unsere Kleidung ist bunt, jederzeit verfügbar und günstig. Den Preis…
Bild von Leopictures auf Pixabay Der Winter ist in vielen Belangen eine Herausforderung. Erkältungsviren machen…
Bild von Pexels auf Pixabay Du denkst, Du bist immun gegen Werbung und Marketing-Tricks? Bist…
Bild von Wolfgang Stemme auf Pixabay Wir leben in einer Welt aus Plastik. Es ist…