Prinzipiell schadet Minimalismus dem wirtschaftlichen Wachstum. Wenn in einer auf Konsum ausgelegten Gesellschaft Menschen aufhören ihre immer neu entstehenden Bedürfnisse durch Konsumverhalten zu befriedigen, dann geht der Industrie und auch dem Handel dieser Umsatz verloren. Auch Dienstleistungen werden unter Umständen weniger in Anspruch genommen.

Fast niemand kommt ohne Konsum aus

Andererseits ist kaum jemand davon befreit, Dinge kaufen zu müssen. Die meisten Menschen haben einen Haushalt, den sie am Laufen halten müssen. Geschirr geht zu Bruch, Elektrogeräte gehen kaputt. Kleidung muss auch immer mal wieder ersetzt werden. Wird Minimalismus aus Aspekten der Nachhaltigkeit gelebt, werden kaputte Gegenstände an Bastler verschenkt oder durch Reparaturservices in Stand gesetzt. In diesen Fällen werden Dienstleistungen in Anspruch genommen, die Industrie geht zunächst fast leer aus. Weit entfernt von dem, was der „Normalverbraucher“ leisten kann und will hat Raphael Fellmer fünfeinhalb Jahre lang auf Geld verzichtet. Hierüber werde ich an anderer Stelle berichten.

Qualität statt Quantität

Dennoch enthalten private Haushalte, die nicht auf permanentes Wachstum ausgelegt sind, der Industrie das Geld vor, das sie ohne den Minimalismus ausgegeben hätten. Andererseits wird unter Umständen bei Neuanschaffungen qualitativ hochwertigere Produkte und damit teurere Produkte zurückgegriffen. In diesem Fall ändert sich die Summe des Geldes, die für Konsum ausgegeben wird, nicht, sondern es werden weniger Produkte gekauft und andere Firmen unterstützt.

Die Folgen von Minimalismus für die Wirtschaft

Mal angenommen es würden mehr und mehr Menschen quantitativ immer weniger Produkte kaufen, die qualitativ hochwertiger sind, käme es durchaus zu einem Wandel am Markt. Würden beispielsweise nur Label unterstützt werden, die nachhaltige Kleidung produzieren, würde das Budget, das eine Person für Kleidung zur Verfügung hat, nicht weiter steigen. In Deutschland haben Privathaushalte im Jahr 2020 mit einer Person durchschnittlich monatlich 59 Euro für Bekleidung und Schuhe ausgegeben. Das sind 708 Euro jährlich.

Konsumentscheidungen treffen

Mit einem Budget von etwa 700 Euro ist es möglich, nachhaltig produzierte Kleidung zu erwerben. Da Minimalisten keine Unmengen an Kleidung anhäufen, sondern diese individuell nach ihrem Bedarf erwerben, kann mit diesem Budget der Bedarf an Bekleidung gedeckt werden. Ähnlich verhält es sich mit anderen Konsumartikeln.

Konsum planen

Abseits von Impulskäufen, die zumeist aus emotionalen Gründen getätigt werden, können wir die meisten Konsumentscheidungen planen. Immer dann, wenn Dinge kaputt gehen, aus Altersgründen ersetzt werden sollen oder zusätzliche Gegenstände angeschafft werden, muss dies in der Regel nicht von heute auf Morgen geschehen. Wir haben also alle Möglichkeiten der Welt uns über ein Produkt schlau zu machen, es mit anderen Produkten zu vergleichen und Kundenrezensionen zu lesen.

Vorhandene Dinge optimal nutzen

Minimalisten kaufen nicht nur Dinge geplant, sondern sie nutzen diese auch gezielt. Ein Beispiel dafür ist die Capsule Wardrobe. Minimalisten, die nicht einfach ihren Kleiderschrank reduzieren, sondern sich eventuell beruflich Gedanken um einen Dresscode machen müssen, stellen sich eine Capsule Wardrobe zusammen oder ordnen ihren Kleiderschrank zum Beispiel nach dem 333-Projekt.

Was kaufen Minimalisten?

Tendenziell wird beim Minimalismus weniger und weniger wahllos konsumiert. Allerdings gibt es keine Minimalismus-Formel, die besagt, dass jemand der sich Minimalist nennt, nur noch 100 oder 1000 Teile besitzen darf. Minimalismus ist eine Lebenseinstellung, bei der nur das Notwendigste konsumiert wird. Was notwendig ist, bestimmt jeder selbst.

Folgen für das Kaufverhalten

Letzten Endes bestimmt auch jeder für sich selbst, wie viel er für ein Produkt bereit ist auszugeben. Deshalb kann ich die Frage, ob Minimalismus der Wirtschaft schadet, nicht eindeutig beantworten. Fließen frugalistische Überlegungen mit in das Konsumverhalten ein und wird ein Großteil des Einkommens bespart, kann sich dies möglicherweise auf die Wirtschaft auswirken. Voraussetzung ist jedoch, dass genügend Menschen das tun. Hier darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, wie das Einkommen bespart wird. Wird das Geld zum Beispiel in Aktien angelegt, befindet sich das Geld dennoch im Wirtschaftskreislauf, in dem am Markt ansässige Unternehmen unterstützt werden. Wer sich also anstelle eines Teslas eine Tesla Aktie kauft, der unterstützt, wenn die Kaufkraft und der Konsumwille bei den Kunden nicht nachlässt, das Unternehmen genauso wie die Käufer der Produkte.

Reduktion von Arbeitszeit

Etwas anders sieht es bei den Menschen aus, die sowohl ihre Arbeitszeit als auch ihren Konsum auf ein Minimum reduzieren. In diesen Fällen wird zwar sparsam gelebt, die kleine Wohnung kann bezahlt werden und der notwendigste Konsum ist abgedeckt. Leider schädigen diese Menschen schon jetzt die Wirtschaft, handeln aber dennoch häufig umweltbewusst. Sie treffen wenige aber gezielte Kaufentscheidungen.

Die Auswirkungen eines verringerten Einkommens auf die Rente

Wenn jemand mit Mitte 20 beschließt, dass ihm 1000 Euro netto zum Leben reichen und er damit derzeit alles abdecken kann, dann rechnet dieser Mensch entweder nicht damit, den Renteneintritt zu erleben oder es ist ihm egal, wenn er dann auf staatliche Transferleistungen angewiesen ist. Das was dieser Mensch heute nicht bereit ist für seine Zukunft zu erwirtschaften, das müssen später seine Kinder und Enkelkinder für ihn tun. Oder die Kinder anderer Leute. Von den 1000 Euro wird diese Person in Rente unter 60% erhalten, was bedeutet, dass er Wohngeld und/oder Grundsicherung beantragen wird. Diese 60% sind sowieso zu hoch gegriffen, da die Inflationsrate nicht eingerechnet wurde.

Wenn das alle tun würden?

Natürlich denken diese Menschen viel zu kurz und ihre Entscheidung wirkt auch ein wenig egoistisch. Andererseits verdienen Menschen, die Mindestlohn erhalten, etwa genauso viel (wenig), wie ein Mensch, der seine Arbeitszeit zugunsten seiner Lebenszeit reduziert. Es kann Dich folglich niemand zwingen, Deinen Lebensstandard an eine in der Zukunft liegende Zeit anzupassen. Dennoch wird ein absolut konsumvermeidendes Verhalten zumindest in Zukunft die Wirtschaft und den Sozialstaat belasten.

Die Rente sichern

Unsere Renten sind schon lange nicht mehr sicher. Niemand von uns weiß, wie lange er arbeiten gehen kann. Mit 1000 Euro netto wird es schwierig irgendetwas zu besparen. Rücklagen für die Rente können nur dann getätigt werden, wenn die Miete und die Nebenkosten sehr günstig sind. Auch wenn ich der Meinung bin, dass individuelle Handlungen immer gesamtgesellschaftlich betrachtet werden sollten, sollten Interessen der Wirtschaft den persönlichen Entscheidungen untergeordnet werden.

Kompromisse finden

Auch wenn die persönlichen Interessen nicht von wirtschaftlichen Zwängen abhängig gemacht werden sollten, so muss jeder von uns, Kompromisse eingehen. Würde eine Person, die 1000 Euro netto verdient und halbtags arbeiten geht eine Stunde mehr arbeiten pro Tag, käme sie vermutlich auf 1150-1200 Euro netto. Dieses Geld könnte zur Aufbesserung der Rente investiert werden. Das setzt allerdings voraus, dass es zu keiner Währungsreform, einer Hyperinflation und/oder einem Börsencrash kommt.

Der Konsum in der Zukunft

Was die Zukunft uns bringen wird, wissen wir alle nicht. Daher können wir nur vage erahnen, was uns die Zukunft bringen wird. Meine persönliche Vermutung ist, dass Konsumgüter in naher Zukunft und für einen langen Zeitraum immer teurer werden. Das ist derzeit bereits der Fall, weil die Rohstoffe am Markt in den vergangenen zwei Jahren künstlich (möglicherweise auch pandemiebedingt und darauffolgende Krisen) verknappt wurden. Das könnte zur Folge haben, dass wir unseren Hyperkonsum endlich in den Griff bekommen und uns auf den Kauf von wesentlichen und notwendigen Dingen konzentrieren.

Warum alle umdenken müssen

Ein Umdenken muss also bei vielen Konsumenten in naher Zukunft stattfinden. Kaufentscheidungen müssen anders als bislang nicht intuitiv getroffen werden. Steigende Preise durch natürliche oder künstliche Verknappung senken in erster Linie die Kaufkraft der Konsumenten, da die Gehaltssteigerungen nicht an die Inflationsrate angepasst werden. Dieser Effekt wird allerdings in den kommenden Jahren verpuffen, weil die Hersteller weiter produzieren und die Händler verkaufen wollen. Wir hals Käufer haben es jedoch in der Hand, ob die Hersteller hochwertige Waren produzieren oder billigsten Ramsch. Unsere Kaufentscheidungen sind immer ein Stimmzettel für die Zukunft.

Die Anpassung des Marktes an steigende Rohstoffpreise

Wenn also die Kosten für Rohstoffe steigen und die Konsumenten weniger kaufen können, weil sie nicht mehr verdienen, dann muss eine neue Lösung her. Der Markt wird reagieren, wie er bislang auch reagiert hat, er schaut sich nach günstigeren Rohstoffen um. Wenn also bislang billige Pressspanplatten mit billigem Kleber zur Möbelproduktion genutzt wurden und die Pressspäne teurer werden, weil das Holz, aus dem die Späne sind, mehr kostet, gibt es mehrere Einsparmöglichkeiten. Es wird entweder günstiger eingekauft oder am Herstellungsverfahren gespart. Das betrifft den Kleber, die Lohn- oder Lagerkosten. In letzter Konsequenz werden die Pressspäne durch ein industriell hergestelltes Produkt ersetzt (Pressspanersatz). Das hört sich an, als würde an der Qualität gespart. Natürlich würde das nie irgendein Hersteller zugeben aber faktisch läuft es darauf hinaus. Die Menschen möchten billige Waren und davon viel.

Nachhaltige, minimalistische Kaufentscheidungen

Der Minimalist ist aus dem Konsumkreislauf schon länger ausgestiegen. Allerdings stehen künftig die billigen Produkte den herkömmlichen Produkten mit stark gestiegenen Preisen und den handwerklich hergestellten Produkten gegenüber. Letzteres kann sich nicht jeder leisten, weshalb nachhaltig orientierte Minimalisten und viele andere Menschen gebrauchte Waren kaufen werden. Prinzipiell sind auch genügend gebrauchte Artikel in ausreichend guter Qualität am Markt vorhanden. Vielmehr wird noch viel zu viel Brauchbares weggeworfen. Allerdings hat ein Zuwachs von Kunden für den Gebrauchtwarenmarkt zur Folge, dass weniger neue Produkte hergestellt werden müssen. In diesem Fall kommt es mittel- und langfristig zu Entlassungen. Diese haben wiederum (insbesondere in unsrem Sozialstaat) gesamtgesellschaftliche Folgen, die wir alle mittragen.

Nicht-Konsum betrifft uns alle

Auch wenn wir einen Nicht-Konsum, wenn er in sehr großem Umfang praktiziert wird, an anderer Stelle mittragen müssen, gibt es wenig Gründe, die dafürsprechen, weiterhin wahllos Billigprodukte zu konsumieren. Langfristig würden die Menschen, die aufgrund der Veränderungen des Konsumverhaltens arbeitslos würden, an anderer Stelle, beispielsweise im Dienstleistungssektor, Fuß fassen.

Zunächst hört es sich an, als wäre der Ausstieg aus dem Konsum eine egoistische, die Wirtschaft schädigende Handlung. Langfristig betrachtet befinden wir uns an einem Wendepunkt. Wir haben die industrielle Revolution gemeistert und befinden uns inmitten der Digitalisierung. Wir wenden uns ab von materiellen Dingen, weil diese endlich sind und mehr als materielle Ressourcen verschwenden.

Quellen:

https://www.it.nrw/nrw-haushalte-gaben-2020-monatlich-14-euro-weniger-fuer-bekleidung-und-schuhe-aus-als-2019-107162

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