Ohne permanente Reizüberflutung, einen andauernden Überfluss und ständige Warenverfügbarkeiten wäre niemals jemand auf die Idee gekommen, seinen Besitz zu reduzieren und nach Einfachheit zu streben. Erst durch unseren derzeitigen Lebensstil konnte der Minimalismus sich als Gegentrend etablieren.
Können nur reiche, privilegierte Menschen minimalistisch leben?
Die kurze Antwort ist: Ja. Natürlich ist Minimalismus ein Trend, der sich innerhalb einer Überflussgesellschaft als Gegentrend zum Kaufen und Konsumieren entwickelt hat. Ein Mensch, der in absoluter Armut von einer Hand voll Reis lebt, würde sich niemals als Minimalist bezeichnen. Jemand, der in einem reichen Land in einer leeren Wohnung auf einem weißen Bett sitzt und Reis aus seiner einzigen Schale ist, postet dies auf Instagram oder dreht ein YouTube-Video davon und unterhält damit andere konsumüberdrüssige Privilegierte.
Was ist absolute Armut und wie unterscheidet sie sich von relativer Armut?
In der Armutsforschung wird zwischen relativer und absoluter Armut unterschieden. Unter relativer Armut leiden die Menschen, die in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Allerdings ist ihr Einkommen wesentlich geringer als das ihres soziokulturellen Umfelds. Das bedeutet, dass sie beispielsweise von der sozialen und kulturellen Teilhabe ausgeschlossen sind. Unter absoluter Armut leiden Menschen, die nicht mehr in der Lage sind ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Zu den Grundbedürfnissen gehören sauberes Wasser, Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung und eine Wohnung/Unterkunft.
Die Häufigkeit von relativer und absoluter Armut
In Deutschland gibt es absolute Armut nur relativ selten. Die meisten von Armut betroffenen Menschen leben in relativer Armut. Davon betroffen sind Rentner, Empfänger von staatlichen Transferleistungen (Grundsicherung, ALG II/Bürgergeld), Alleinerziehnde, Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Menschen, denen staatliche Transferleistungen zustünden, diese jedoch nicht beantragen, können von absoluter Armut betroffen sein. Ebenso können Menschen, die keinen Anspruch auf staatliche Transferleistungen haben, in absoluter Armut leben. Das sind beispielsweise Menschen, die im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Deutschland gekommen sind, jedoch keine Anstellung vorweisen können. Hierbei handelt es sich in der Regel um EU-Bürger, die sich einen Sozialleistungsanspruch zunächst erarbeiten müssen. Geschieht dies nicht, besteht kein Leistungsanspruch.
Aber auch in Deutschland werden Menschen, die unter relativer Armut leiden, sich nur in sehr seltenen Fällen als Minimalist bezeichnen. Allerdings gibt es auch unter Menschen, die von Armut betroffen sind, Minimalisten.
Wie entstand der Minimalismus?
Minimalismus ist als klarer Gegentrend unserer Konsumgesellschaft zu betrachten und ist nicht klar definiert. Eine Definition geht davon aus, dass Minimalisten nur das besitzen, was sie wirklich benötigen und sie glücklich macht. Nach dieser Definition sind also auch die Menschen Minimalisten, die mehrere Autos besitzen, weil sie diese aus ihrer Sicht benötigen.
Formen des Minimalismus.
Es haben sich verschiedene Formen und Ausprägungen des Minimalismus entwickelt. Bei diesen Unterscheidungen handelt es sich keineswegs um eine Klassifizierung, sondern um einen Unterscheidungsversuch der unterschiedlichen Ausprägungen. Esther von estherloveslife.de hat beispielsweise zwischen sieben Formen des Minimalistmus unterschieden:
- Der frugale Minimalist.
- Der Nomaden Minimalist.
- Der nachhaltige Minimalist.
- Der ästhetische Minimalist.
- Der extreme Minimalist.
- Der praktische Minimalist.
- Der graduelle Minimalist (Quelle: esthersloveslife.de)
Auf die verschiedenen Formen des Minimalismus werde ich in einem separaten Post eingehen.
Weniger Erwerbsarbeit durch Konsumverzicht?
Wer sein Leben, seinen Besitz auf das für ihn notwendige Minimum reduziert, reduziert hierdurch in der Regel auch seine Kosten. Die Kostenreduktion muss jedoch nicht zwangsläufig einsetzen. Gerade beim ästhetischen Minimalismus geht es vordergründig um eine äußerliche Reduktion auf wenige, hochwertige Eyecatcher. Wer sich anstelle von fünf verschiedenen Küchengeräten einen Thermomix zulegt, der zahlt unter Umständen für dieses eine Gerät mehr als für alle fünf Küchengeräte zusammen. Der Vorteil besteht jedoch darin, dass nicht mehr zig verschiedene Küchenmaschinen rum stehen, die abgestaubt und unter Umständen hervorgekramt werden müssen.
Manch ein Minimalist investiert nicht mehr in Gegenstände, sondern in Erlebnisse, andere hingegen möchten durch den Minimalismus Lebenszeit gewinnen. Hierzu sind sie bereit ihre Arbeitszeit und somit ihr Gehalt zu reduzieren.
Wege zum Minimalismus
Die wenigsten Menschen in der westlichen Welt kommen als Minimalist auf die Welt. Wir verbringen unsere Kindheit mit dem Sammeln von Gegenständen. Kinder sammeln gerne Dinge, die aus Sicht eines Erwachsenen Müll sind oder nicht aufgehoben werden sollten. Später werden Sammelkarten, Lego, Playmobil, Barbies und anderes Spielzeug gehortet. Vielen Kindern fällt es schwer, Dinge weg zu geben. Das mag dem Umstand geschuldet sein, dass sie sich – im Gegensatz zu Erwachsenen – Wünsche nicht einfach selbst erfüllen könne und auf Geschenke oder das Taschengeld der Eltern angewiesen sind.
Im Erwachsenenalter haben sehr viele Menschen das Sammelverhalten, das sie als Kind praktiziert haben, habitualisiert. Zudem wurde vielen von uns beigebracht, dass man nichts wegwirft oder weg gibt weil man es noch brauchen könnte. Die meisten Menschen müssen Minimalismus folglich erst erlernen.
Das Ausmisten
Da die meisten Menschen sich erst dann dem Minimalismus zuwenden, wenn die vielen Dinge in ihrer Wohnung sie zu stören beginnen, müssen sie zuerst ausmisten.
Beim Ausmisten der Wohnung kommen die Meisten irgendwann an den Punkt, an dem Sie beispielsweise ihre Unterlagen digitalisieren müssen, um ihren Stuff weiter reduzieren zu können. Dazu wird in der Regel ein Rechner, Tablet oder Laptop sowie ein Scanner/Dokumentenscanner benötigt. All diese Hardware kostet Geld. Der Speicherplatz offline wie online kostet in der Regel ebenfalls etwas Geld.
Sortiert jemand seinen Kleiderschrank bis auf das Nötigste aus müssen künftig defekte Kleidungsstücke zeitnah ersetzt werden. Das setzt voraus, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt das Geld hierfür vorhanden ist.
Menschen, die von Armut betroffen oder bedroht sind schmeißen folglich nichts weg, was sie irgendwie noch brauchen könnten. Sie sammeln nicht selten Dinge, die für wohlhabendere Menschen wertlos erscheinen. Häufig wird an diesen Dingen festgehalten, weil die Angst, nichts zu besitzen, immens ist. Diese Menschen hatten schon einmal einen wirklichen Mangel an irgendwas, was nicht selten zur Folge hat, dass überflüssige Dinge aufgehoben werden.
In vielen von uns sitzt aber auch dann, wenn wir ausreichend gut verdienen, die Angst, dass ein tatsächlicher Mangel entstehen könnte.
Daher kann ich auch abschließend feststellen, dass Minimalismus eindeutig ein Trend ist, der der aktuellen Wohlstandsgesellschaft entsprungen ist.