Aufstände in Bangladesch

Näherinnen sitzen an kleinen Tischen in einer heruntergekommenen Halle, vornübergebeugt an Nähmaschinen
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Unsere Kleidung ist bunt, jederzeit verfügbar und günstig. Den Preis zahlen die Arbeiter und Arbeiterinnen in Bangladesch. In den vergangenen Monaten kam es zu Aufständen in den Textilfabriken.

Die Geschichte der Textilproduktion in Bangladesch

Die Textilproduktion in Bangladesch begann bereits in den 1970er Jahren und hat sich seither zu einem der größten Sektoren der Landeswirtschaft entwickelt. Die Branche hat auf der einen Seite einen erheblichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum des Landes geleistet, auf der anderen Seite gibt auch viele Probleme im Zusammenhang mit Arbeitsbedingungen und Sicherheitsstandards.

Der Mindestlohn lag bislang bei 8.000 Taka, das sind umgerechnet etwa 68 Euro. Der Lohn der Textilarbeitenden wurde in den letzten fünf Jahren nicht erhöht (Quelle). Auch wenn die Lebenshaltungskosten in Bangladesch nicht mit denen in Deutschland vergleichbar sind, können die Beschäftigten von diesem Geld gerade so überleben.

Der Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes

Am 24. April stürzte in Bangladesch das Rana-Plaza-Gebäude ein. In dem achtstöckigen Gebäude waren mehrere Textilfabriken ansässig. Es starben mehr als 1.100 dort arbeitende Menschen, über 2500 Näherinnen und Näher wurden verletzt (Quelle). Dieses Unglück war eine der schwersten Katastrophen in der Geschichte der Bekleidungsindustrie.

Infolge des Rana Plaza-Einsturzes erhöhte sich die internationale Aufmerksamkeit in Bezug die Arbeitsbedingungen in Bangladesch. Die Regierung, Unternehmen und internationale Organisationen setzten sich in Folge verstärkt für Verbesserungen der Arbeitssicherheit und der Arbeitsbedingungen ein. Der Druck führte zur Einführung von Initiativen wie dem „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh“ und der „Alliance for Bangladesh Worker Safety“.

Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh

Das Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch sollte sicherstellen, dass Arbeits- und Brandschutzmaßnahmen verbindlich umgesetzt werden.

Die Vereinbarung besteht in der Hauptsache aus sechs Punkten

  1. Eine rechtsverbindliche Vereinbarung für eine Dauer von fünf Jahren zwischen den Textilmarken und lokalen Gewerkschaften, damit ein sicheres Arbeitsumfeld gewährleistet werden kann.
  2. Inspektionen, die unter Beteiligung von Arbeitnehmern und Gewerkschaften mit Unterstützung der Produzenten durch unabhängige Prüfer durchgeführt werden
  3. Die Fabriken legen alle Inspektionsberichte und Korrekturmaßnahmenpläne (CAP) offen.
  4. Die unterzeichnenden Marken verpflichten sich dafür zu sorgen, dass ausreichende Mittel für Sanierungen bereitstehen.
  5. In allen Fabriken soll es demokratisch gewählte Gesundheits- und Sicherheitsausschüsse geben, damit Gesundheits- und Sicherheitsrisiken erkannt und korrigierende Maßnahmen eingeleitet werden können.
  6. Die Arbeitnehmer werden durch ein umfangreiches Schulungsprogramm aufgeklärt, es wird ein Beschwerden-Management eingeführt und auch das Recht, eine unsichere oder gefährliche Arbeit zu verweigern (Quelle).

Alliance for Bangladesh Worker Safety

Die Alliance for Bangladesh Worker Safety ist auch bekannt als „die Allianz“ oder AFBWS. Es handelt sich hierbei um Gruppe, die aus 28 großen globalen Einzelhändlern besteht. Diese Gruppe wurde gegründet, um die Arbeitssicherheit in den Konfektionsfabriken in Bangladesch nachhaltig zu erhöhen. Allerdings beschränkt sich diese Übereinkunft auch auf einen Zeitraum von fünf Jahren (Quelle).

Hat sich die Arbeitssicherheit in Bangladesch verbessert?

Die Maßnahmen, die nach dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes eingeleitet wurden, müssten dazu geführt haben, die Arbeitsbedingungen in Bangladesch nachhaltig zu verbessern. Das betrifft jedoch nur den organisieren Sektor. Derzeit wird davon ausgegangen, dass über 80 Prozent der Arbeitenden in Bangladesch im informellen Sektor beschäftigt sind und weiterhin über keinen ausreichenden Arbeitsschutz verfügen.

Im Jahr 2022 starben in Bangladesch 967 Menschen während oder in Folge von Arbeitsunfällen. Diese Arbeitsunfälle spielten sich zu etwa 85 Prozent im informellen Sektor ab. Nahezu 98 Prozent des Todesopfer waren Männer (Quelle). Relativierend muss allerdings angemerkt werden, dass im selben Zeitraum in Deutschland 423 Menschen an oder in Folge von Arbeitsunfällen starben (Quelle). Warum ist das relativierend? Deutschland hat mit 83,2 Millionen etwa halb so viele Einwohner wie Bangladesch mit 169,4 Millionen.

Was fordern die Arbeitenden bei den derzeitigen Protesten in Bangladesch?

Die Textilarbeiter und Textilarbeiterinnen erhalten derzeit einen Mindestlohn von 8.000 Taka monatlich. Das entspricht 68 Euro. Die Gewerkschaften und die Demonstrierenden fordern eine Erhöhung auf umgerechnet 195 Euro. Das entspricht nahezu einer Verdreifachung. Die Textilunternehmer sind bereit 25 Prozent mehr zu zahlen. Das reicht den Arbeitenden nicht, da sie von den 68 Euro, die sie monatlich erhalten, ihr Leben nicht bestreiten können (Quelle).

Der derzeitige Stand sind 106 Euro, den die Arbeitenden bekommen sollen. Doch das reicht nach wie vor nicht aus, um in Bangladesch zu überleben. Bei den Zusammenstößen mit der Polizei kamen vermutlich vier Personen ums Leben (Quelle). Zahlreiche Fabriken wurden beschädigt, weitere geschlossen, damit es nicht zu Schädigungen durch die Demonstrierenden kommt.

Warum diese Aufstände die Textilindustrie nicht in die Knie zwingen werden

Derzeit ist kein Ende der Fast-Fashion-Area abzusehen. Wenn derzeit Fabriken geschlossen und im Anschluss höhere Löhne gezahlt werden müssen, trifft das zwar zunächst die Hersteller, die nicht mehr so günstig wie bislang produzieren dürfen. Am Ende jedoch zahlen die Endverbraucher den Preis. Die Unternehmer werden ihre Gewinne nicht minimieren. Die Folge wird sein, dass wir mehr zahlen müssen aber die Kleidung dennoch durch unterbezahlte Arbeitskräfte hergestellt wird, die ein bisschen mehr Lohn für ihre Arbeit erhalten als vorher.

Warum werden die Näherinnen so schlecht bezahlt?

Die einfache Antwort: Profitmaximierung. Auch wir wählen häufig die günstigste Option oder die mit dem größten Nutzen (bei niedrigen Kosten). Wir sind direkt und unmittelbar an diesem ausbeuterischen kapitalistischen System beteiligt. Wir wollen möglichst viel für das Geld, das uns zur Verfügung steht, also möglichst viel Kleidung, gute Nahrungsmittel, Autos und Urlaub. Sind die Dinge teuer, können wir weniger kaufen. Das selbe gilt für die Haltbarkeit der Produkte. Produkte, die langlebig sind, sind für viele Unternehmer vollkommen uninteressant.

Damit wir viel kaufen können und die Hersteller viel produzieren und Gewinne erwirtschaften können, benötigen wir günstige Rohstoffe und günstige Herstellungskosten. Die Fast Fashion Branche funktioniert so. Die meisten von uns haben kein wirkliches Interesse an einer fairen Bezahlung der Textilarbeitenden. Das hätte zur Folge, dass die Gewinne nicht minimiert werden und unsere Kleidung dennoch teurer wird.

Stellen wir uns kurz vor, alle Textilhersteller würden ihre Arbeitenden fair bezahlen. Also wirklich fair. Die Näherinnen und Näher sind nicht dumm, sondern lediglich arm. Würden sie eine wirklich faire Entlohnung erhalten, würden sie ihre Kinder auf weiterführende Schulen schicken und es würde keine weitere Generation an günstigen Näherinnen und Nähern geben.

Der Staat in Bangladesch profitiert in vielerlei Hinsicht von der Armut seiner Bürgerinnen und Bürger. Armut bringt meist ein Defizit an Bildungschancen mit sich. Ungebildete Menschen können leichter unterdrückt werden. Das hat prima funktioniert, allerdings können die Arbeitenden sich heute über das Internet und Social Media selbst informieren.

Werden solche Proteste wie in Bangladesch häufiger vorkommen?

Ja. Das tun sie schon und das ist auch gut so. Alle die diesen Text in ihrer Muttersprache (deutsch) lesen, sind in einem überprivilegierten Land aufgewachsen. Unsere relative Armut steht in keinem Vergleich zu der „echten“, existenzvernichtenden Armut in Entwicklungs- und Schwellenländern. Abgesehen davon bringen wir mit der Industrie auch immer technische Möglichkeiten und Entwicklungspotenziale in die Länder, die für uns produzierend tätig sind.

In Bangladesch versucht die Polizei mit Gewalt diesen Wandel aufzuhalten. Das mag kurzfristig erfolgreich sein. Langfristig sind die Menschen in Bangladesch nicht mehr bereit unseren Luxus zu produzieren, während sie selbst in absoluter Armut leben.

Ist das das Ende von Fast Fashion?

Die Aufstände in Bangladesch werden leider nicht das Ende der Fast Fashion Produktion sein. Die Hersteller werden die Erhöhungen teilweise tragen, an die Endkunden weitergeben und sich nach einer günstigen Alternative umsehen.

Sie werden ein Land finden, das wenig bis gar nicht industrialisiert ist und ihre Produktionsstätten dorthin verlegen. Der Rubel muss rollen. Die Unternehmer sind dabei weder an Dir, Deiner Gesundheit noch an dem Wohl der Arbeitenden interessiert.

Wann wird die Fast-Fashion-Ära enden?

Wenn Du und ich nichts tun, dann nie. Nur wir Endverbraucher haben in der Hand, was und wie produziert wird. Natürlich kann vermutlich kaum jemand von uns von heute auf Morgen die Kleidung, die wir bislang konsumiert haben, aus nachhaltiger Produktion kaufen. Aber wir können damit beginnen nur die Kleidung zu besitzen, die wir benötigen und auch nur die zu kaufen die wir brauchen.

Die Menge an Kleidung, die sich in unseren Kleidungsschränken befindet, benötigt kein Mensch. Leider ist Fast Fashion nicht nur nicht sehr nachhaltig, sondern auch sehr kurzlebig. Die wenigsten Fast Fashion Artikel halten mehrere Jahre oder sogar ein Jahrzehnt. Wenn Du jetzt aufhörst ständig zu konsumieren, kannst Du dir mittelfristig hochwertige und nachhaltig produzierte Kleidung leisten, die dann wiederum lange hält.

Vielleicht könnten wir, wenn viele Menschen dazu bereit wären erreichen, dass kein Mensch mehr für unsere Mode sein Leben riskieren muss.

Quellen:

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/textilindustrie-streit-um-mindestlohn-fuer-textilarbeiterinnen-in-bangladesch

https://www.gtai.de/de/trade/bangladesch/specials/missachtung-von-arbeitsschutz-und-arbeitsbedingten-gesundheitsgefahren–1009266#:~:text=Im%20Jahr%202022%20starben%20in,Prozent%20der%20Opfer%20waren%20M%C3%A4nner.

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/6051/umfrage/gemeldete-arbeitsunfaelle-in-deutschland-seit-1986/#:~:text=Gemeldete%20Arbeitsunf%C3%A4lle%20in%20Deutschland%20bis%202022&text=Gegen%C3%BCber%20dem%20Rekord%2DUnfalljahr%201992,niedrigste%20Arbeitsunfallquote%20der%20letzten%20Dekaden.

https://en.wikipedia.org/wiki/Accord_on_Fire_and_Building_Safety_in_Bangladesh

https://en.wikipedia.org/wiki/Alliance_for_Bangladesh_Worker_Safety

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